In der Zeitung „dynamo“ (herausgegeben zur ZERO Ausstellung im Martin-Gropius-Bau) bekennt Ólafur Elíasson in einem Interview:
„Es ist interessant, dass die Kunst die Welt seit langem als eine Konstruktion sieht, als ein Modell. Das war auch bei ZERO der Fall. Nicht nur die Welt, sondern auch unsere Wahrnehmung oder unsere Wahrnehmungskapazitäten sind kulturell bedingt. Letztlich entsteht die Idee, dass die Welt veränderlich ist, natürlich nicht unbedingt aus ihr selbst, sondern mehr aus einem Anschauungsmodell, wie man mit der Welt umgehen kann.“
Wie faszinierend der Umgang mit der Welt als Konstruktion und mit ihrer Veränderbarkeit ist, beweist dabei meiner Meinung nach kein zeitgenössischer Künstler so gut, so erkennbar, wie Eliasson. Das zeigt gerade die Ausstellung seiner Werke aus der Sammlung Boros in der Langen Foundation, von der ich hier vor einiger Zeit berichtet habe.
Und ich habe das Gefühl, dass es keine Künstlergruppe so gut verstanden hat, im Spiel mit und durch neue Materialien die Welt zu zeigen und zu deuten, wie die der ZERO Künstler: Denn wie bei Eliasson, so sind für ZERO die Elemente und eben jene Materialität grundlegend für die künstlerischen Auseinandersetzung und zur Definition und Konstruktion von Welt.
Schon das 1963 erschienen Manifest zu „ZERO der Neue Idealismus“ definiert:
„Zero ist die Stille. Zero ist der Anfang. Zero ist rund. Zero dreht sich. Zero ist der Mond. Die Sonne ist Zero. Zero ist weiss. Die Wüste Zero. Der Himmel über Zero. Die Nacht –, Zero fließt. Das Auge Zero. Nabel. Mund. Kuß. Die Milch ist rund. Die Blume Zero der Vogel. Schweigend. Schwebend. Ich esse Zero, ich trinke Zero, ich schlafe Zero, ich wache Zero, ich liebe Zero. Zero ist schön, dynamo, dynamo, dynamo. Die Bäume im Frühling, der Schnee, Feuer, Wasser, Meer. Rot orange gelb grün indigo blau violett Zero Zero Regenbogen. 4 3 2 1 Zero. Gold und Silber, Schall und Rauch. Wanderzirkus Zero. Zero ist die Stille. Zero ist der Anfang. Zero ist rund. Zero ist Zero.“
Da ist alles angelegt, was an ZERO begeistert. Wir, die Erde, der Himmel, die Elemente, Farben, die Berechenbarkeit, die Unberechenbarkeit, der Blick in die Zukunft, die Verrücktheit und die Beziehungen zwischen allem.
Und so dadaistisch verschwurbelt einem das auch vorkommen kann: Hier finden sich meiner Meinung nach der Grund dafür, warum ZERO heute, wie seit der kurzen Hochzeit zwischen 1958 und 1963 nicht mehr, die Menschen begeistert und in diese wie alle anderen Ausstellungen mit Künstlern der Gruppe strömen lässt.
ZERO hat die Kraft zu begeistern. Und das eben nicht mit hochtechnischen, computerisierten, unverständlichen Mitteln oder Medien, sondern durch eine begeisternd komplexe Einfachheit: Der Umgang mit Farbe und Form, mit Bewegung von Material und Licht, mit Spiegelungen, mit Räumen und Flächen, mit Schall, Feuer, Wasser, Erde – das alles ist so klar, nahbar, verständlich und manchmal gar naiv.
Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau folgt dieser elementaren Auseinandersetzung durch eine thematisch-räumliche Gliederung, die etwa Farbe, Struktur, Vibration, Bewegung und Feuer umfasst.
Jeder Raum widmet sich einer der Themenwelt des ZERO-Kosmos und gibt den Werken, völlig frei von Beschilderungen, die Fläche, das Volumen, ihre Wirkung zu entfalten.
So füllen die Monochrome des der ZERO Bewegung nahestanden Yves Klein den Raum „Farbe“. Nach langer Zeit bekommen hier diese Farbtafeln wieder die Chance nebeneinander, übereinander, vor allem aber miteinander auszudrücken was Yves Klein beschreibt: „(…) die Farben sind die wahren Bewohner des Raumes (…)“. Ebenso beleben die Strukturbilder Heinz Macks, über die der Künstler sagt: „(…) Ich gebe der Farbe eine Vibration, d.h. ich gebe der Farbe eine Struktur“, den Raum mit dem Thema „Struktur“.
Otto Pienes Rauchbilder, in denen er die gestalterische Kraft des Feuers auf die Leinwand und so auf den Betrachter wirken lässt und seine Lichtballette zu Feuer
und Bewegung, deren großartiges Zusammenspiel von Bewegung, Licht und Schatten, haben Platz für die Entfaltung ihrer fesselnden Eindrücklichkeit.
Ein großer Raum ist Günther Ueckers Werk „Kosmische Vision“ gewidmet, fünf aufrechten und sich in einer langsam Drehbewegung befindlichen, runden Nagelscheiben, von jeweils einer Stelle
seitlich durch das Nagelfest beleuchtet, zu dem der Künstler sagt: „(…) Den Ablauf einer Bewegung sichtbar zu machen als Zustand einer Lebendigkeit, an der der Mensch teilnimmt in schöpferischer Wiederholung, in Monotonie, ist in der Tat eine erregende Aktion (…).“
Die rasselnden, klackenden, hämmernden, sich drehenden und wie von Zauberhand ganz fein bewegenden Arbeiten, Kunstmaschinen, von Jean Tinguely, Pol Bury und Uecker erfüllen einen Raum wie die Lichtgeister von Otto Piene und schließlich in der großen Halle hängend der „Mond“ von Heinz Mack, eine riesige, runde Scheibe, die von einem Spot beschienen, sich langsam dreht und mal Lichtseite und mal Schattenseite ist, und die der Künstler für diese Ausstellung geschaffen hat.
Im Rundgang der Halle befindet sich auch das „Archiv“ zur ZERO Bewegung, in dem anhand von Dokumenten, Fotos, Ausstellungsansichten, Miniaturen, Videoarbeiten u.a. der Kosmos ZERO beleuchtet und in seine Zeit eingeordnet wird.
Es gibt so viel zu sehen, so viel zu entdecken in dieser Ausstellung, dass die genanten Werke nur ein Ausschnitt sein können und wollen. Sie lebt von der Experimentierfreude der Künstler, einer positiven Haltung zu den Dingen die uns umgeben, von unverkennbarem Humor. ZERO ist Freude pur, aber alles andere als Klamauk.
„ZERO – Die Internationale Kunstbewegung der 50er und 60er Jahre“, Martin-Gropius-Bau, 21. März – 8. Juni, Mi. – Mo. 10 – 19 Uhr
Ab 13. Juni im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster: „Otto Piene.Licht“, die große Retrospektive zum Werk des ZERO Künstlers, mit einem besonderen Fokus auf die Bedeutung des Lichts in seinem Werk.
Alle nicht im Text gekennzeichneten Zitate entstammen dem austellungsbegleitenden Kurzführer.
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