Meine prägende Erfahrung in der Auseinandersetzung mit dem Werk von Lena Dues ist die einer nicht nur räumlichen, sondern vor allem auch sprachlichen Positionierung.
Die Künstlerin selbst sagt ‚Wir müssen den Dingen Begriffe geben‘, und meint damit nicht nur den ganz menschlichen Drang zur begrifflichen Kategorisierung von Erlebnis, sondern die Grundvoraussetzung dazu, Erlebnis und Erfahrung als solche überhaupt wahrzunehmen.
Erfahrung macht leichtsinnig. Je sinnvoller etwas geworden ist, um so eher scheinen wir geneigt, unsere Sensorik, auch die Gedankensensorik, abzuschalten, oder zumindest – und vielleicht auch einfach nur aus Bequemlichkeit – auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Dann wird Etwas zu etwas Bestimmtem, eine Kombination aus Kriterien zu einer Entität.

Lena Dues’ Arbeiten gehen in vielen Fällen den komplizierteren und damit aber auch erhellenderen Weg. Sie nutzt in ihr und durch sie eine besondere Stärke von Kunst, die mir gerade in Zeiten komplexer politischer wie gesellschaftlicher Strukturen und Fragestellungen an Bedeutung nicht genug gewinnen kann: Die Details in den Vordergrund zu rücken, um das Ganze verstehen, begreifen zu können.
In unserem langen Gespräch, das wir vor einigen Wochen im Atelier in der Kunstakademie Münster geführt haben, und aus dem ich hier immer wieder zitieren werde, kommen wir auf die Faszination für diese Idee einer Notwendigkeit künstlicher wie künstlerischer Fragmentierung um der Defragmentierung Willen immer wieder zurück.
Über Sprache.

Lena Dues hat neben Kunst auch Germanistik studiert, und es erscheint vielleicht nicht nur ihr heute als Glücksgriff, Sprache auch auf diese Art und Weise kennengelernt und hinterfragt zu haben. Indem sie um die Kraft der Begriffe weiss, fordert sie auch das Publikum ihrer Ausstellungen auf, sich über Sprache zu verhalten, Details zu benennen, Erfahrungen zu formulieren.
‚Viele meiner Arbeiten verlangen ja, dass man die Details sieht, dass man die Kleinigkeiten so wertschätzt wie die großen Teile. Das sind eben nicht nur zusammengesetzte Dinge, sondern da ist ein Inhalt, den ich entwickelt habe, eine Verbindung, auf die ich hinweisen möchte und mit der ich mich beschäftigt habe. Es gibt da mehr, als die Farbigkeit der Materialien die zueinander passt. Erst einmal ist es natürlich total legitim, wenn man sagt: Das Kunstwerk sollte für sich stehen, da muss man nichts zu sagen. Und ich will selber auch gar nicht zu viel wegnehmen und ich will dem Betrachter die Gelegenheit lassen etwas auf sich wirken zu lassen und einen Eindruck zu bekommen.‘
Wie Sprache das Material des Geistes ist, ist Material die Sprache der Hand.

Seiner Wahl liegt eine bewusste und eben nicht selten auch manipulative Entscheidung zugrunde, die Aufmerksamkeit erregt und auch verlangt. Ich erinnere mich an lange Gespräche über Texturen und Aggregatzustände, über Farben und über die Wirkung, die alles auf alles hat, über die Wahl eben jenes Materials, über seinen Ursprung und eben ganz im Sinne ihrer eigenen Darstellung über seine Setzung in diesem Zusammenhang.
Was klar wird: im Werk lassen sich Sprache und Material nicht trennen, weil sie sowohl notwendige als vor allem von der Künstlerin intendierte Fokussierung auf das Detail forcieren.
Immer aber bleibt vor allem der suchende Blick der Künstlerin erkennbar. Es geht ihr nicht darum, das Publikum hinters Licht zu führen oder bloßzustellen. Es geht nicht darum uns eine Entscheidung aufzuoktroyieren, am Ende eines Gespräches eine künstlerisches ‚Ja, aber!‘ zu setzen.
Wir sprechen auch über Unsicherheiten, Zweifel und das Potenzial des Scheiterns in der künstlerischen Arbeit.
‚Warum sieht etwas so aus wie es aussieht? Warum sieht es morgen vielleicht schon anders aus? Habe ich zu wenig über die Motivation dahinter nachgedacht, mich auch zu wenig theoretisch mit etwas beschäftigt? Kann ich die Arbeit da hinlegen und ist das dann immer noch die Arbeit? […] Auch: Ist das so fertig, kannst du das noch verändern und wie sicher ist die Setzung, die du gewählt hast? Und wenn auch der Prozess wichtig ist, stellt sich ja die Frage, ob das nicht irgendwo auch eine performative Arbeit ist. Und dann musst du dich fragen, wie viel eigene künstlerische Arbeit ist da noch drin und wie wichtig ist die.‘

Mich fasziniert diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun. Das liegt vor allem wohl auch daran, dass eben diese Fragen ja immer wieder auch die Fragen des Betrachters sind. Gerade in der Gegenwartskunst, deren Motive und Setzungen in Geschichten voller Chiffren erzählt werden.
Lena Dues’ Antwort auf die Fragen, die sich aufwarfen: Konzentration auf das Material. Daß das nicht nur Fragen beantworten würde, scheint dabei klar und vermutlich auch intendiert. Aber in der Konzentration liegt die Grundlage für alle Fragestellungen, die entstehen, wenn die Sicherheit für die Wahl eines Details, eines Materials in diesem Falle, gegeben ist.
Aus der Unsicherheit über die Kraft des Ganzen wir die Sicherheit in der Wahl der Teile. Und wie für die Fragen, so gilt auch für diese Antwort: sie betrifft auch mich als Betrachter. Sie fordert mich dazu auf, das Material wahrzunehmen.
Über Sprache zum Material.

Holz, Glas, Papier, Stoff, Keramik, Metall, Pflanzen, Textmarker, Teppich, Urzeitkrebse, Kristalle, Latex…
Die Bandbreite der Materialien, die Lena Dues verwendet ist so groß wie die daraus resultierende Kombination immer wieder überraschend, neu und anders.
Namen werden zu Begriffen, wenn sie in einem System eine Aufgabe übernehmen. Sie können für sich stehen oder mit anderen Geschichten erzählen. Sie können Widerspruch oder Ergänzung sein, Teil und Ganzes.
In ihren Arbeiten findet Material seine Bestimmung über den Begriff, der es zum Teil eines Systems werden lässt. Immer wieder geht es um eine scheinbare Dissonanz der Materialität, um eine Reibungsfläche, häufig im wahrsten Sinne des Wortes, zwischen Oberflächen, die zu einer Reibungsfläche der Wahrnehmung wird.

Wenn Pflanzen und Erde auf Glas treffen, ist Glas Wasser. Wenn Latex in Farbe und Form einer abgezogenen Haut gleicht, dann entsteht eben dieser unbehagliche Eindruck. Wenn ein Textmarker im Wasser seine Farbe abgibt, dann verbinden sich zwei Flüchtigkeiten zu einer ungewohnten Konstante. Wenn gezüchtete Kristalle und gezüchtete Urzeitkrebse im Aquarium ein Regal teilen, dann bilden Natürlichkeit und Künstlichkeit, Schöpfung und Erfindung im Material zu einem Ordnungssystem, das eben diese Attribute zu hinterfragen im Stande ist.
‚Man kann sich nicht losmachen davon, herausfinden zu wollen, woraus etwas ist, ob es echt ist. Und gerade das ist doch eine spannende Frage an die Kunst und an die Welt.‘

Neugier ist eine starke Triebfeder. Das gilt für die Künstlerin, das gilt für den Betrachter. Man merkt Lena Dues die Neugier an, aus der heraus sich Arbeiten entwickeln. Es ist die Neugier auf Material, auf sein Verhalten, auf seine Veränderbarkeit, seine Wirkung im Kontrast zu anderen und die Reaktion darauf, den Moment der Offenbarung. Sofort glaubt man ihr die Begeisterung und den Respekt für Menschen, die ein Handwerk beherrschen und ‚darin Grenzen austesten oder hinterfragen oder durchbrechen können.‘
Über Sprache und Material zur Geschichte.
2017 hat Lena Dues im Rahmen der Ausstellungsreihe ‚Radar‘ – einer Kooperation zwischen Westfälischem Kunstverein und Landesmuseum – die sogenannte ‚Galerie der Gegenwart‘, ein Schaufenster zwischen beiden Institutionen, bespielt.
Ihre Arbeit mit dem Titel ‚Aquarius‘ vereint auf beeindruckende Weise drei Elemente ihrer Arbeit, die mir die entscheidenden zu sein scheinen: Sprache, Material und Geschichte.

Ausgehend vom Erleben des Raumes als Aquarium, entwickelte sie im Inneren ein komplexes wie faszinierendes System, ein Archiv aus Natürlichkeit- und Künstlichkeit, Zucht und Ordnung, Natur und Unordnung. Der Ort wird zu einem Labor der Möglichkeiten im Umgang mit Material und zum Studienraum über Anatomie, Evolution und Lebensstufen.
Und an der Stirnseite des Raumes: der Unicode für das Sternzeichen Wassermann. ‚This is the dawning of the Age of Aquarius‘. Die Geschichte macht nicht halt beim Material oder im Labor. Sie geht darüber hinaus weil wir darüber hinaus denken (müssen), und sie lässt auch die vermeintlich übersinnlich esoterischen Erfahrungen in aller Ernsthaftigkeit in der man sich ihnen widmen sollte, weil sie Welterklärungsversuche sind, nicht aus.
‚Es geht um Wasser, aber eben auch um die Sicht auf die Dinge der Welt. Oder besser noch, mehrere Sichten, die sich nicht ausschließen. Es geht um wissenschaftliche und esoterische Erklärungsmodelle. Es geht um Energien, die wir nicht sehen, und das ist eben nicht nur Unfug. […] Und darüber hinaus geht es darum Grenzen aufzubrechen. Dinge zusammenbringen, die erst einmal nicht zusammenpassen.
Und in allem, in der Betrachtung des Materials, der Wirkung der Energien, der Wahrnehmung des Raumes und der Geschichte, die er hier und jetzt spielt, sind wir gefragt. Lena Dues bietet ihr System als mögliches Ordnungssystem an. Die Spannung liegt in der Erkenntnis seiner Details und in der Frage, ob sie sich auch in uns wieder zu einem möglichen System zusammensetzen.

Der Gewinn aus dieser Betrachtung liegt dabei nicht in einer resultierenden Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Künstlerin, scheint es mir. Vielmehr liegt er in dieser wie in vielen anderen Arbeiten vor allem darin, die Details zu erkennen, Sprache, Material und Geschichte wahrzunehmen und ihnen ihre Eigenständigkeit im System zuzugestehen ohne ihre Aufgabe zu vergessen.
Und der Gewinn liegt ganz sicher darin, dass man sich selber, als Körper, Ausdruck, Geschichte, Material und Kombination aus all diesem ganz selbstverständlich in Bezug setzt. Haut, Wasser, Leben und Vergänglichkeit, Neugierde und Esoterik: Das und so vieles mehr sind wir als Menschen, als Komposition von Elementen.
‚Meine Arbeiten sind eben für Menschen gemacht, also insofern als Höhe, Betrachtung und Proportion eine Rolle spielen. Aber diesen Bezug gilt es immer auch zu hinterfragen. Inhaltlich und gestalterisch.‘
Gerade ihre Risographien oder Stoffdrucken von Kristallen oder Pflanzen erscheinen mir in diesem Zusammenhang als spannende inhaltliche wie gestalterische Weiterentwicklung. Im Prinzip schließen sie den Kreis zurück zur Sprache und den Begriffen die uns unsere Erfahrung für etwas geben lässt. Nun ist ja die Abbildung alles andere als ein fremdes Element in der Kunst. Vermutlich kann man sagen: davon lebt sie.

In diesem Fall vervollständigt die Abbildung, der Druck, aber eine Ausstellungssituation, die eine Laborsituation sein kann, einen Versuchsaufbau, ein Ordnungssystem, Objekte, Natur und Leben um das Element der Reproduktion in einem neuen Umfeld.
Was ich im Gespräch mit Lena Dues und in der Auseinandersetzung mit ihrer Kunst immer wieder erfahre ist eine ansteckende Begeisterung und Offenheit, sowohl den Elementen ihrer eigenen Arbeit als auch dem Betrachter gegenüber.
Wenn sich Zusammenhänge erschließen, das ist immer großartig. Und dann gibt es das Element des Unkontrollierbaren beim Material. Weisst du noch, das Silikon, dass ich über die Stange gehängt habe und das immer wieder heruntergerutscht ist und keine Balance gefunden hat? Oder die Urzeitkrebse. Die sterben eben einfach, oder sie werden riesengroß. Oder Pflanzen. Da gibt es unkontrollierbare Parameter. Und natürlich auch bei Wasser. […] Ich möchte auf jeden Fall, dass die Begeisterung dafür überschwappt! Das beginnt bei meinen Arbeiten ja schon häufig damit, dass man sich fragen muss, was für ein Material das eigentlich ist.

So klingt das dann, und das ist authentisch und einnehmend. Lena Dues begeistert mich mit ihrer facettenreichen Arbeit, mit den Geschichten, die sie erzählt und erzählen lässt, und mit den Fragen, die sie aufwirft.
Ich freue mich darauf, ihre weiteren Arbeiten als begeisterter Betrachter begleiten zu dürfen, Fragen zu stellen und immer neue und überraschende Antworten zu bekommen.
Weitere Informationen und Abbildungen auf www.lena-dues.de